Lydia Eymann –
Porträt einer aussergewöhnlichen Frau

Lydia Eymann war eine äus­serst viel­sei­tige, schil­lernde Per­sön­lich­keit. Doch es sind vor allem drei Eigen­schaf­ten, die ihr Wesen präg­ten: Allem voran stand der Mut zur Eigen­stän­dig­keit, der sich in einer gewis­sen Ori­gi­na­li­tät, in abso­lut unab­hän­gi­gem Urteil und in kom­pro­miss­lo­sem Han­deln zeigte. Bekannt war ihre offene, oft beis­sende Kritik gegen­über allem, was ihr unrecht erschien und die sie in Leser­brie­fen und Kari­ka­tu­ren aus­drückte. Der zweite Wesens­zug war ihre tiefe Natur­ver­bun­den­heit. Sie war eine Anwäl­tin der Tiere und Pflan­zen, von Wasser, Gestein und Land­schaft. Als dritte Eigen­schaft muss ihr unstill­ba­rer Wis­sens­durst auf viel­fäl­tig­sten Gebie­ten genannt werden. Davon zeugte ihre umfang­rei­che Biblio­thek von Sachliteratur.

LE (rechts), mit ihrer Mutter Anna Maria Sommer (links) und ihren beiden Schwestern

Das Elternhaus

Lydia Eymann – sie selber nannte sich LE und ist in Langenthal bis heute unter diesem Kürzel bekannt – wurde am 14. Juni 1901 als jüng­ste von drei Töch­tern in Langenthal gebo­ren. Hier führ­ten ihre Eltern, Fried­rich Robert Eymann und Anna Maria Sommer, das Hotel Bären. LE behaup­tete, der Vater hätte lieber einen Jungen gehabt, des­halb habe er sie wie einen Buben erzo­gen. Lydia soll als Kind dar­un­ter gelit­ten haben, dass sie kein Junge war.

Tauf­bild LE

Es herrschte reger Betrieb in dem für das gesell­schaft­li­che Leben von Langenthal wich­ti­gen Hotel Bären. Lydia wuchs in der vor­neh­men Welt dieses Hauses auf. Eymanns führ­ten einen auf­wän­di­gen Lebens­stil. Einmal im Jahr ging die Mutter mit ihren drei Kin­dern nach Nervi in Ita­lien in die Ferien, was damals als äus­serst exklu­siv galt. Nach­dem die Eltern den «Bären» 1921 ver­kauft hatten, zogen sie mit Lydia (die beiden ande­ren Töch­ter waren damals bereits ver­hei­ra­tet) nach Cla­rens an den Gen­fer­see. Dort führte man ein gross­bür­ger­li­ches Leben mit Ein­la­dun­gen und Empfängen.

Hotel Bären, Langenthal
LE-Haus an der Aar­wan­gen­strasse ca. 1932

Mit dem Vater ging Lydia oft fischen und jagen, was zu ihrer lebens­lan­gen gros­sen Natur­ver­bun­den­heit führte. Nach seinem Tod kehr­ten Mutter und Toch­ter 1928 wieder zurück nach Langenthal und lies­sen an der Aar­wan­gen­strasse 55 ein Haus bauen – heute Sitz der Stif­tung LE.

Lehr‑, Wander- und Kriegsjahre

Die Primar- und Sekun­dar­schule hatte LE in Langenthal besucht. Es folg­ten Auf­ent­halte in Pen­sio­na­ten im Welsch­land und in Eng­land; schliess­lich bil­dete sie sich, ihren künst­le­ri­schen Anla­gen ent­spre­chend, im Kunst­ge­werbe sowie im Malen und Zeich­nen in Genf und Paris aus. Sie fand 1925 eine Stelle bei einer Sei­den­drucke­rei in Uster, was ihr Gele­gen­heit zu zahl­rei­chen Mode­reisen nach Paris verschaffte.

LE mit Mutter ca. 1935

Schon sehr früh und für eine Frau aus­ser­ge­wöhn­lich lernte LE Auto fahren. Zu jener Zeit waren für die Auto­prü­fung noch Moto­ren­kennt­nisse gefragt – dafür inter­es­sierte sie sich bren­nend. Auch ging sie gerne und oft auf Auto­rei­sen; der Radius ihrer Fahr­ten reichte bis Neapel und weit über den Polar­kreis hinaus.

Bei Kriegs­aus­bruch 1939 stellte LE sich als Rot­kreuz­fah­re­rin zur Ver­fü­gung. Die FHD-Kar­riere (mili­tä­ri­scher Frau­en­hilfs­dienst) führte sie trotz ihrer unbe­que­men Kritik am Dienst­be­trieb bis zum Offiziersrang.

LE im Aktivdienst
Kari­ka­tur «Die Ratssitzung»

Engagement in Langenthal

Die ruhi­gen Nach­kriegs­jahre waren aus­ge­füllt mit kunst­hi­sto­ri­schen Stu­dien, foto­gra­fi­schen Expe­ri­men­ten, Betreu­ung der Fische­rei­ge­wäs­ser und der Ver­wal­tung ihres Lie­gen­schafts­be­sit­zes. Heute befin­det sich ein Teil von LEs Male­reien, Skiz­zen und Kari­ka­tu­ren im Besitz der LE-Stif­tung. Aus den Kari­ka­tu­ren spricht ihr gross­ar­ti­ger Humor. Ihre kri­ti­sche Teil­nahme am Dorf­ge­sche­hen bekun­dete sie oft im «Lan­gen­tha­ler Tag­blatt». In offe­ner und geist­rei­cher Spra­che, aber auch hart und unbe­irr­bar, trug sie man­ches Gefecht mit der Dorf­ob­rig­keit aus.

Als noch nie­mand vom Umwelt­schutz sprach, stritt sie bereits lei­den­schaft­lich für Gewäs­ser- und Natur­schutz in Langenthal. Als Heimat- und Denk­mal­schutz noch belä­chelt wurden, setzte sich LE mit gros­ser Sach­kennt­nis für die Erhal­tung von Kul­tur­gü­tern und Tra­di­tio­nen ein. Ihrer tiefen Ver­bun­den­heit mit Tieren, Pflan­zen und Land­schaf­ten stand eine gewisse Men­schen­scheu gegen­über. Hinter dem sprö­den, bur­schi­ko­sen Gehabe, dem zuwei­len mit einer gewis­sen Skep­sis begeg­net wurde, ver­barg sich ein äus­serst fein­sin­ni­ger Mensch.

Fischer­hütte an der Langete

Lydia Eymann ver­starb nach schwe­rer Krank­heit in Langenthal am 1. März 1972 mit 70 Jahren.

Viele Men­schen hatten das aus­ge­prägte Sozi­al­emp­fin­den und Gerech­tig­keits­ge­fühl der allein­ste­hen­den, begü­ter­ten Frau erle­ben dürfen. Von ihrer Gross­zü­gig­keit zeugt nicht zuletzt das hoch dotierte Lite­ra­tur-Sti­pen­dium.

Nach: Gugger B., Zur­lin­den M., Geiss­büh­ler A.:
LE – Ein Por­trait, Stif­tung Lydia Eymann (Hrsg.), Langenthal 1997